Eine Gesellschaft die mir gegenüber so offen ist wie noch keine zuvor und so unterschiedlich, dass ich am liebsten jeden einzelnen Iraner kennenlernen mag.

„Young, wild and free“, ich höre Wiz Khalifas Song in Dauerschleife, bevor ich iranischen Boden berühre. Ein Mantra für mich? Ich werde demütig, beobachte all die Frauen im Flugzeug und versuche so erste Eindrücke von der iranischen Gesellschaft zu bekommen. Die meisten jungen Frauen tragen kein Kopftuch, neben mir sitzen zwei Iranerinnen in Jeans und T-Shirt. Erst bei Landung bedecken sie ihr Haar und ziehen einen Mantel an.

 

Eine ältere Dame spricht mich auf Farsi an – ganz so offensichtlich ist mein Migrationshintergrund wohl nicht. …die Wahrscheinlichkeit ein Tourist zu sein ist aber auch gering, ich kann zwei als offensichtliche Ausländer ausfindig machen.

Die ersten zwei Wochen waren ein Marathon für mein Gehirn, die Synapsen leuchten durchgehend, ständig neue Infos, die ich im Kopf speichern mag. Ich springe von der religiösen Familie in Tehran zu Atheisten in Esfahan.

Kopftuch Tag und Nacht

Die Familie von Rahim, einem Flüchtling der in Österreich ist, nimmt mich auf. Bei der aus Afghanistan stammende Familie erfahre ich die Gastfreundschaft des mittleren Ostens. Vor der Haustür ziehe ich die Schuhe aus, trete in das Mehrfamilienhaus ein und spüre zum ersten Mal die weichen Perserteppiche. Die Eltern Rahims, seine Schwester und sein Bruder leben im Erdgeschoß, im Obergeschoß wohnt ein weiterer Bruder mit seiner eigenen Familie. Die Familie hat wenig Wohnraum, ihr Herz scheint aber riesig zu sein.

Rahims Mama begrüßt mich auf persisch. Ich verstehe gar nichts. Sie lächelt offenherzig und ein wenig unsicher – ich bin die Verbindung zu ihrem Sohn, den sie seit 3 Jahren nicht mehr gesehen hat. Sie geleitet mich ins Wohnzimmer, nimmt zwei Bilder von der Wand. Rahim mit Sonnenbrille, im Hintergrund Österreich. Sie küsst ein Bild und gibt es mir, ihr laufen Tränen aus den Augen die Wangen hinunter. Sie weint.

Meine ersten vier Tage im Iran verbrachte ich also stets mit Hijab (Kopftuch), denn die Familie ist streng religiös. Selbst beim Schlafen sollte ich das Kopftuch tragen, sagt mir die 16 jährige Nichte von Rahim. ….Wie soll das den halten? Ich entschuldige mich und sage, dass sei nicht möglich. Wir Frauen schlafen im Wohnzimmer, 20 cm von einander entfernt, auf Unterlagen am Boden, Rahims Bruder schläft im Schlafzimmer, der Vater in der Küche. Ich verabschiede mich für die nächsten Wochen von jeglicher Privatsphäre.

Die ersten Tage bin ich extrem vorsichtig, verunsichert und hab keine Ahnung wie ich mich verhalten soll. Was ich weiß, Männern gebe ich nicht die Hand. Am besten, ich halte generell Abstand und setze mich nicht direkt neben sie. Ich werde in die Familie wie ein Mitglied aufgenommen, bekomme Essen vorgesetzt und mir wird alles bezahlt – Taxifahrt, Ubahnkarte, Eintrittsgelder. Ich möchte mich natürlich beteiligen, es wird vehement abgelehnt. Ich war überwältigt von den Eindrücken, durfte Nouruz/ das islamische Neujahr mit der Familie feiern, bekam Einblick in das Leben einer religiösen Familie, sah Zusammenhalt und die für die Familie hier so selbstverständlichen Regeln mit denen die Mitglieder leben. Ich lerne die Verlobte von Rahims Bruder kennen und wurde fürs nächste Monat zur Hochzeit eingeladen. Und kehre später tatsächlich zurück um daran teilzunehmen.

 

Hinter der Fassade

Iran, hier gibt es keinen Aufklärungsunterricht in Biologie und körperliche Veränderungen während der Pubertät werden nicht thematisiert. Eltern sprechen nicht über Sex, ein Tabuthema. Richtig. Zumindest was Unterricht und religiöse Familien angeht. Falsch, sobald eine Ausländerin anwesend ist. Die Chance muss wohl ergriffen werden:

Kaum waren keine Männer anwesend, wurde ich von den Frauen der Familie ausgefragt – was tue ich um meine Brüste in Form zu halten? …Wie bitte? Zeigst du sie her? ..Was! Ich soll mich ausziehen?

Habe ich einen festen Freund? Hatte ich Sex? Warum habe ich dann noch kein Kind? …Leben die Frauen hier auf dem Mond?

Nach ein paar Tagen verabschiede ich die Familie, was mir definitiv schwerer fällt, als das stinkende Tehran zu verlassen. Der Stadt an sich kann ich gar nichts abgewinnen.

Westliches Leben im mittleren Osten

Dafür mochte ich die nächste Stadt umso mehr – Esfahan. Ich verbrachte die nächsten Tage bei Ati und ihrer Familie, meine erste iranische Familie also. Alles ist offener, beim Eintreten ins Haus wird das Kopftuch sofort abgelegt. Das gilt auch für mich, auch wenn die Männer der Familie laut Religion mein Haar nicht sehen dürfen. Die Familie ist religiös, aber nicht fanatisch. Ich verbringe auch viel Zeit mit Atis Onkel und seiner Verlobten, die Ausländer lieben. Die zwei verbindet nichts mit dem Islam. Die Familie der Verlobten trinkt Alkohol und teilt westliche Ansichten. Und ich hatte Glück, die beiden heirateten und ich konnte bei der Hochzeit dabei sein.

In Esfahan gewinne ich außerdem Freunde außerhalb Atis Familie. Ein junger Iraner führt eine offene Beziehung. Ein unverheiratetes Paar lebt zusammen, sie ist Architektin, er ist studierter Opernsänger und arbeitet als Künstler an Skulpturen die das weibliche und männliche Geschlecht vereinen. Wir fahren ins armenische Viertel der Stadt, gehen zum Fleischhacker des Vertrauens und kaufen Schweinefleisch. Vom Dealer wird Alkohol bestellt. Ich bin perplex und beeindruckt von der Vielschichtigkeit der Gesellschaft. Und erschlagen, wie ich nach der ersten Woche merke. Ich habe so viele Unterschiede erlebt und mitgelebt. Ich wusste dass wir in Europa ein falsches Bild vom Iran haben, aber was ich hier erlebe habe ich trotzdem nicht erwartet.

Da die Regierung in den letzten Jahrzehnten so viel Scheiße gebaut hat und die Religion benutzt hat um Gesetze zu schaffen, entstand innerhalb der Gesellschaft ein Hass gegen die Regierung. Die Iraner müssen den Gesetzen folgen, zumindest auf der Straße – beliebtestes Beispiel, das Kopftuch. Doch diese Einschränkungen und der Zwang dazu werden von vielen vielen Familien hier abgelehnt – Ablehnung kommt von allen Altersgruppen, aber gerade bei jungen Leuten entwickelte sich nicht nur ein Hass gegen die Regierung, sondern auch ein Hass gegen den Islam.

Ich bin von den ganzen Eindrücken und Neuigkeiten so erschlagen, dass ich beschließe, in der nächsten Stadt in ein Hostel zu ziehen. Zwei Wochen in einem Land zu sein und keinem Austausch mit einem anderen Touristen zu haben, das war für mich neu. Ich wollte meine Geschichten loswerden und die Eindrücke der anderen hören. …Ich kann euch sagen, die verrücktesten Geschichten hatte ich zu erzählen, die anderen fühlten sich prächtigst unterhalten.

 

Lasst mich sagen, ich bin so froh, von Südostasien in den mittleren Osten weitergereist zu sein. Ich fühle mich hier so wohl, Reisen hier macht irrsinnig viel Spaß!

 

Alles Liebe

Claudia